Gotik – Spitzbogenstil
Politischer und wirtschaftlicher Aufbruch in Europa – Beginn der Gotik. Zahlreiche Stadtgründungen fallen in die Zeit des 12. und 13. Jhdts., die Landbevölkerung strömte in die Städte, der Handel blühte auf und verschaffte Adel, Bischöfen und wohlhabenden Bürgern die nötigen Mittel, auch größere Bauten zu realisieren. Die zunehmende Bevölkerung in den Städten verlangte nach zusätzlichen Kirchenbauten. Klerus und Bürgertum versuchten sich mit immer prächtigeren Kirchen, Rathäusern und Wohngebäuden zu übertrumpfen. Technische Weiterentwicklungen im Bauwesen wie Spitzbogen, Kreuzrippengewölbe und Strebepfeiler ließen eine freiere und höhere Bauweise zu.
Das Licht Gottes
Hoch aufstrebende Räume und großflächige Fenster sollten in der Gotik die Allmacht Gottes repräsentieren. Im Gegensatz zur romanischen Architektur mit massiven Wänden und kleinen Fenstern erhellte das Sonnenlicht von außen jetzt auch die Innenräume der Kathedralen. Prächtige Glasfenster mit biblischen Motiven sorgten für ein bis dahin nicht gekanntes Farbenspiel, das die mittelalterliche Bevölkerung tief beeindrucken musste.
Ursprünge in Frankreich
Der gotische Stil entstand in Frankreich. Schon ab 1140 wurde mit dem Bau der ersten gotischen Kathedralen begonnen. Die ehemalige Abteikirche Saint-Denis in Paris, die Grablege der französischen Könige, gilt als der früheste gotische Kirchenbau, gefolgt von den Kathedralen von Sens, Senlis, Laon und Noyon sowie Notre Dame de Paris. Als beeindruckende Beispiele der Gotik sind auch die Kathedralen von Chartres, Reims und Amiens zu nennen.
Gotik in Deutschland
Im Deutschen Reich setzte sich die Bauweise der Gotik erst fast 100 Jahre später durch. Zwar weisen die romanischen Kirchenbauten wie der Limburger oder der Magdeburger Dom schon gotische Elemente auf, aber erst ab 1230 werden die Liebfrauenkirche in Trier oder die Elisabethkirche in Marburg als gotische Bauten bezeichnet. Ab 1248 begann der Bau des Kölner Doms.
Leichter und höher
Ein wesentliches Merkmal der gotischen Baukunst zeigt sich in der Durchbrechung der Außenwände durch großflächige Fenster, verbunden mit geringeren Wandstärken. Kreuzrippengewölbe und Spitzbögen entlasteten die tragenden Wände, höhere Bauten wurden möglich, Strebepfeiler stützten den Bau von außen. Eiserne Zuganker und Stangen dienten der Stabilisierung und Versteifung. Da das Gewicht nicht mehr auf den Wänden lag, konnten die Fenster immer höher und größer gestaltet werden. Die hoch entwickelte gotische Glaskunst mit den prächtigen farbigen Motiven brachte der Bevölkerung – nur die wenigsten konnten lesen – die biblischen Geschichten nahe.
Spitzbögen
Der Spitzbogen ist eines der Haupterkennungsmerkmale der Gotik, weshalb sie oft auch als Spitzbogenstil bezeichnet wird. Die einer Parabel ähnlichen Form der Spitzbögen begünstigt die statischen Kräfteverhältnisse, der Druck vom Schlussstein an der Spitze wird optimal auf die Pfeiler übertragen. Spitzbögen finden wir in der Gotik fast überall in den Gewölben, an Fenstern und Portalen. Besonders in den bischöflichen Kathedralen und den Stadtkirchen der Bürger symbolisieren sie durch ihre steil emporragende Form die Macht und die Herrlichkeit Gottes und nebenbei natürlich auch die der Bauherren.
Kreuzrippengewölbe
Mit der Entwicklung des Kreuzrippengewölbes wurden die Gewölbe von sich kreuzenden diagonalen Bögen gehalten, in deren Schnittpunkt ein Schlussstein gesetzt wurde. Die Spitzbogenform der Rippenbögen ermöglichte höhere und auch längliche Gewölbeformen. Die Gewölbeschalen, die Flächen zwischen den Rippenbögen konnten nun frei gemauert werden. Sie konnten leichter und dünner gebaut werden, da sie nun keine tragende Funktion mehr besaßen.
Chor
In der Gotik wurde der Bereich rund um den Chor erweitert. Über den Chorumgang gelangte der Besucher jetzt zu vielen angeschlossenen Kapellen, ein Kapellenkranz entstand. Der Chorbereich wurde vergrößert, wobei aber auf die darunterliegende Krypta, wie wir sie aus der Romanik kennen, verzichtet wurde. Für die Kanoniker wurden zum Teil aufwendig geschnitztes Chorgestühl aufgestellt.
Hoch hinaus
Viele der größten Kirchtürme wurden in der Gotik oder später vollendet. Viele Kathedralen erhielten beeindruckende Doppelturmfassaden, reich dekoriert mit prächtigen Portalen.
Auch die Städte und deren Bürger versuchten sich gegenseitig zu übertrumpfen. Es entstand ein Wettlauf um den höchsten Kirchturm. 116 Meter ragt zum Beispiel der Turm des Freiburger Münster in die Höhe. Der höchste Kirchturm der Welt ist meis t 161,23 Metern der Turm des Ulmer Münster, der allerdings erst im 19. Jhdt. vollendet wurde.
Zierelemente und Maßwerk
Als typisch für die Gotik sind Ornamente zu sehen, die auf geometrischen Formen, Kreisen und Bögen beruhen. Die kunstvollen Dekorationen finden sich in Fenstern und Bögen, besonders fallen aber die kreisrunden, zum Teil sehr großen Rosettenfenster in den Fassaden auf.
Der Begriff „Gotik“
Eigentlich wollte der Kunsthistoriker Giorgio Vasari im 16. Jhdt. seine Geringschätzung gegenüber der mittelalterlichen Kunst und Baukunst zum Ausdruck bringen, als er den Begriff Gotik für die vergangene Epoche prägte. Das italienische „gotico“ für barbarisch und fremdartig fußte auf der Bezeichnung für die Goten, einem Germanenstamm. Mit diesem Volk aus der Völkerwanderungszeit hatte die Kunstrichtung darüber hinaus aber nichts zu tun.
Doch der Begriff „Gotik“ setzte sich durch und fand sich auch in Goethes Text „Von Deutscher Baukunst“ wieder, der den Stil zum „deutschen Stil“ ernannte. Die Meinung, dass die Gotik in Deutschland entstanden sei, hielt sich noch lange und gerade der aufkommende Nationalismus beanspruchte den „deutschen Stil“ für sich. Die Gotik wurde als urdeutsch glorifiziert, bis erst im 19. Jhdt. öffentlich festgestellt wurde, dass die Entwicklung in Wirklichkeit in Frankreich ihren Ursprung hatte.
Rathäuser und Gildehäuser
Kaufleute und Ratsherren im späten Mittelalter wollten ihre Macht und ihren Einfluss auch durch die Größe ihrer Gebäude demonstrieren und befanden sich damit in direkter Konkurrenz zur Kirche und zu den Bischöfen. Überall entstanden Rathäuser und Zunft- und Gildehäuser, die den Kathedralen in nichts nachstanden. Das Rathaus in Tangermünde ist ein schönes Beispiel für diesen Wettlauf.
Wohnbauten
Die positive wirtschaftliche Entwicklung in den Städten ließ es zu, dass vor allem die wohlhabenden Kaufleute, aber auch Handwerksmeister, sich Häuser aus Stein leisten konnten, die über die Zeit erhalten geblieben sind und zum Teil noch heute das Bild unserer Altstädte prägen. Typische Elemente neben den Spitzbögen sind vor allem die auffälligen Treppengiebel.
Gotik in Farbe
Das dunkle Mittelalter war eigentlich recht farbig und viele der gotischen Kirchen, die wir heute als schlicht grau oder weiß getüncht kennen, waren einmal kunstvoll mit Farbe ausgemalt. Figuren in Stein oder Reliefs waren bemalt, Pfeiler, Gewölberippen und andere Bauteile zierten prächtige Dekore. Um die Wirkung der leuchtenden Glasfenster hervorzuheben, wurden dagegen für die Wandverzierungen gern zarte Farbtöne benutzt.
Gotische Skulpturen
Auch in der Gotik war die Malerei und Bildhauerkunst noch sehr an die Kirche gebunden. Standbilder und Reliefs sollten die Kirchenräume schmücken. Freistehende Skulpturen brauchten noch einen Wandhintergrund und meist einen Sockel und einen Baldachin. auch in Deutschland wurden bedeutende Kunstwerke geschaffen, zum Beispiel der Bamberger Reiter oder die Stifterfiguren des Naumburger Doms.